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Jede verfügbare freie Fläche nutzen

Heinz Wanner ist Professor für Geografie und Klimawissenschaften am Oeschger-Zentrum für Klima- und Klimafolgenforschung der Universität Bern. Für ihn ist klar: Wenn wir verheerende Folgen der Klimaerwärmung verhindern wollen, müssen wir die Energiewende jetzt vorantreiben. Erneuerbare Energien wie die Photovoltaik stehen dabei im Fokus.

Herr Professor Wanner, Sie haben seit Ihrem Studium Klimaveränderungen erforscht. Wie schätzen Sie die Gefahr der Klimaerwärmung ein?
Der Ausstoss an Treibhausgasen nimmt weiter zu. Die Zukunftsszenarien vieler wissenschaftlicher Institute, die Klimasimulationen ausführen, zeigen: Wir unternehmen noch immer zu wenig. Es geht ja nicht nur um den allgemeinen Durchschnitt der Klimaerwärmung. Uns Forscher beschäftigen vor allem Extremereignisse. Es kann in Zukunft lokal bis zu acht Grad wärmer werden. Es wird enorme Hitzephasen geben. Und dies wiederum wird lange Trockenphasen und dazwischen verheerende Starkniederschläge verursachen. Die Szenerien verheissen nichts Gutes, wenn wir nicht sehr rasch handeln.

Die Schweiz hat sich für eine Klimastrategie entschieden, die Netto-Null Treibhausgasemissionen bis 2050 vorsieht. Ist dieses Ziel realistisch?
Die Frage dabei ist: Ist der demokratische Wille für die Diversifizierung der Energiegewinnung da? Die Lösungen gibt es. Sie heissen Photovoltaik, Geothermie, Hydroelektrizität und Windenergie. Die Energiewende ist das zentrale Element. Das bedeutet aber, wir müssen bereit sein, Zugeständnisse zu machen. Zum Beispiel unsere Staumauern erhöhen oder grosse Flächen mit Solarkraftwerken ausstatten.

Die Sonne könnte pro Jahr 10’000-mal mehr Energie liefern, als die Welt benötigt …
Ja, die Sonne ist ein sehr wichtiger Energielieferant. Der Haken für die Umsetzung sind die Finanzierung und der Wille. Ich war kürzlich im Nordosten Deutschlands für einen Vortrag. Auf fast jeder freien Fläche entlang der Autobahn sowie bei Sportplätzen sind dort Solaranlagen installiert, fast jedes Hausdach trägt eine Photovoltaik-Anlage. Deutschland stellt viel höhere Subventionen bereit als die Schweiz, darum geht es dort schneller.

Warum geht es bei uns nur langsam vorwärts?
Wenn Sie die Klimaerwärmung mit der Coronapandemie vergleichen, wird klar warum. Die Pandemie war blitzartig da und hat sofort zu Todesfällen geführt. Der Klimawandel ist das gefährlichere Phänomen. Aber er erfolgt schleichend. Als Einzelperson fühlt man sich dabei als zu kleines Element, um etwas zu verändern.

Können die Taten Einzelner überhaupt eine Wirkung haben?
Wenn nicht die ganze Gesellschaft mitmacht, und dazu gehören alle Einzelpersonen, werden wir grosse Probleme bekommen. Die Schweiz hat den Vorteil, dass sie finanzstark ist. Wir können Kühlungssysteme installieren, Dämme bauen, Hänge gegen das Abrutschen absichern. Andere Länder, etwa in Lateinamerika, Afrika oder Vorderasien, werden mit sehr langen Trockenperioden kämpfen, oder mit Hitzewellen, wie sie kürzlich in Indien auftraten. Die Menschen aus diesen Ländern werden keine andere Möglichkeit haben, als zu migrieren. Und sie müssen in den Norden migrieren, das heisst nach China oder in die USA, aber vor allem nach Europa.

Wenn Sie die ersten Lösungen, die es gab, mit den heutigen Photovoltaik-Anlagen vergleichen, sind Sie zufrieden mit der Entwicklung?
Technologisch gesehen sind wir heute auf einem top Niveau. Es gab in den letzten Jahren riesige Effizienzsteigerungen. Um die Technologie zu nutzen, müssen wir aber an anderen Orten Abstriche machen. Wir können die Solarenergie nicht in der Sahara produzieren und hierher transportieren. Allerdings haben wir grosse Flächen im Alpenraum, in einer Höhe, in der die Sonneneinstrahlung sehr stark ist. Wir müssen bestehende freie Flächen und Dachlandschaften nutzen. Ich selbst wohne in Worb und in unserem Dorf gibt es einen grossen Holzverarbeiter. Er hat hier seine gesamte Dachlandschaft mit Solarzellen gedeckt und versorgt nun zusammen mit der Holzenergiegewinnung einen grossen Dorfteil. Solche Initiativen brauchen wir. Aber auch jedes Einfamilienhaus, das auf alternative Energie setzt, sei dies mit Wärmepumpen oder Solaranlagen, trägt seinen Anteil bei.

«Die Solarziegel sind gerade für Menschen, die ästhetische Vorbehalte gegenüber der Photovoltaik haben, eine ansprechende Alternative.»

Was halten Sie von innovativen Lösungen wie den Solarziegeln von Gasser Ceramic?
Ich hatte bereits früher einmal Kontakt zu Gasser Ceramic, als die Idee für diese Ziegel gerade frisch im Raum stand. Und ich habe grosse Freude, dass sie realisiert wurde. Die Solarziegel sind gerade für Menschen, die ästhetische Vorbehalte gegenüber der Photovoltaik haben, eine ansprechende Alternative.

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Die Bevölkerung wächst weiter und damit auch der Energieverbrauch. Wie können wir trotzdem CO2 reduzieren?
Wir müssen Abstriche machen, auch im Kleinen. Das heisst, Energie sparen. Junge Ökonominnen und Ökonomen zeigen immer wieder auf, wie wir unser System weiter dekarbonisieren können. Wir können uns zum Beispiel bei der Mobilität einschränken oder unsere Ernährung umstellen.

Was tun Sie selbst im Kleinen, um die Klimaerwärmung aufzuhalten?
Meine Frau und ich haben ein sehr kleines Auto, das wir mit unserer Tochter teilen. Wir fahren wann immer möglich ÖV und wir ernähren uns bewusst. Durch meine Arbeit beim Weltklimarat hatte ich lange Zeit einen sehr schlechten ökologischen Fussabdruck, da ich so viel geflogen bin. Jetzt fliegen wir praktisch nicht mehr. Auch bei grösseren Reisen verzichten wir bewusst aufs Flugzeug. Zum Beispiel fahren wir dieses Jahr mit dem Zug und dem Schiff auf die Färöer-Inseln.

«Man sollte doch handeln können, bevor eine Katastrophe passiert.»

Was muss im Grossen passieren, damit wir die Erderwärmung aufhalten können?
Wir müssen politisch aktiver werden. Und dabei erreichen, dass erneuerbare Energien stärker subventioniert werden. Unter Forscherinnen und Forscher gibt es eine zweite, beängstigendere Sichtweise. Diese besagt, es brauche hierzulande ein dramatisches Ereignis, zum Beispiel einen Sommer mit 48 bis 49 Grad, bis die Menschen aktiv werden. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt. Man sollte doch handeln können, bevor eine Katastrophe passiert.

«Wir können es noch immer schaffen.»

Sind Sie bezüglich der Erreichung der Klimaziele eher optimistisch oder pessimistisch?
Wenn ich mir die Entwicklung der letzten 40 Jahre anschaue, bin ich ehrlich gesagt eher pessimistisch. Wenn ich meine Enkel hüte, merke ich dann, es gibt nichts anderes als vorwärtszuschauen und optimistisch zu sein. Wir können es immer noch schaffen.

Heinz Wanner ist überzeugt, mit Photovoltaikanlagen können wir auch in der Schweiz viel bewirken.

Heinz Wanner ist in Biel geboren und studierte in Bern und Grenoble Geografie und Klimawissenschaften. Nach seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Fragen der Gebirgsklimatologie und der Luftverschmutzung. In den 80er Jahren arbeitete er an der Colorado State University und amtierte unter anderem als Co-Direktor des schweizerischen Forschungsprogrammes POLLUMET (Meteorologie und Luftverschmutzung). Aktuell forscht Heinz Wanner über die regionalen bis globalen Klimaschwankungen der vergangenen Jahrhunderte bis Jahrtausende. Er leitete von 2001 bis 2007 den Nationalen Forschungsschwerpunkt Klima der Schweiz und war bis 2015 Mitglied des UNO-Klimarates IPCC. Heinz Wanner ist Träger des Welt-Geographiepreises Vautrin Lud, der als inoffizieller Nobelpreis für Geografie gilt.

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